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Temu: Das steckt hinter dem Billig-Shop aus China

IMTEST hat sich den Online-Shop Temu genauer angesehen.

Tablet mit der Homepage von Temu.
© Dan Nelson / Unsplash

Günstige Preise haben schon immer viele Menschen angelockt. Doch in diesem Fall ist die extreme Beliebtheit kaum zu erklären. Die App (iOS/Android) des chinesischen Online-Shops namens Temu wurde mit der Einführung auf dem europäischen Markt so häufig heruntergeladen, dass sie selbst ChatGPT, Shein und WhatsApp hinter sich lässt. IMTEST erklärt, was dahintersteckt und welche möglichen Risiken das Schnäppchen-Shoppen birgt.



Für diejenigen, die den Online-Shop mit dem orangen Logo noch nicht besucht oder gar dort eingekauft haben, eine kurze Zusammenfassung. Temu wurde laut eigener Angabe vor knapp einem Jahr im Juli 2022 in Boston gegründet. Der erste Markteintritt erfolgte dann in den USA im September desselben Jahres. Später kamen Kanada, Australien und Neuseeland dazu, während der Start in Europa erst im April 2023 erfolgte. Das Konzept von Temu folgt dem Prinzip von anderen Online-Riesen wie Amazon und Alibaba, ist jedoch am ehesten vergleichbar mit Wish. Eine breite Produktauswahl zu sehr günstigen Preisen. (Gute) Qualität liegt nicht im Fokus.

Für Verbraucher vorteilhaft sind sicher die kulanten Versandbedingungen, denn diese sind kostenfrei beziehungsweise ist auch eine Retoure innerhalb von 90 Tagen gratis. Temu wirbt außerdem mit vielen Rabattaktionen sowie mit den bereits erwähnten sehr günstigen Preisen. Beispiele: Eine Piloten-Sonnenbrille für 2,98 Euro oder ein Hochdruck-Duschkopf für 3,08 Euro. Die Kategorien reichen dabei von Bekleidung über Schulbedarf bis hin zu Haustierbedarf, Mobiltelefonen und Terrassenmöbel.

Temu: Wie shoppt es sich als Milliardär?

Ein Blick auf die Website zeigt, dass Temu grundsätzlich als seriös eingestuft werden kann. Das Unternehmen hat seinen europäischen Sitz in Dublin und ziert den sogenannten “Website-Footer” mit Siegeln, die ein sicheres Einkaufserlebnis bescheinigen. Die angebotenen Zahlungsmethoden sind vielfältig: PayPal, Kreditkarte, Klarna, Apple Pay und einige weitere. Was Nutzungsbedingungen sowie Datenschutzrichtlinie angeht, so gibt es auf den ersten Blick keinerlei Auffälligkeiten. Alle Dokumente scheinen auf einem aktuellen Stand und vollständig. Das “Shopping als Milliardär” ist also ungefährlich – ein Slogan, mit dem Temu seine App untertitelt.

Screenshot der Nutzungsbedingungen von Temu.
Die Nutzungsbedingungen von Temu geben vor, auf dem aktuellen Stand zu sein. © Temu

Die günstigen Preise erklären sich unter anderem damit, dass Temu selbst kein Lager betreibt, sondern nur als Plattform zwischen Großhändler und Kunde fungiert. Laut Temu ist der Online-Shop eine direkte “Plattform zwischen Hersteller und Endabnehmer”. 

Denn, so Temu weiter “kommt anders als bei Amazon, wo häufig Händler die Produkte von Produzenten beziehen und dann auf Amazon verkaufen, der Verkauf bei Temu gänzlich ohne den Händler zustande. Käuferinnen und Käufer erhalten ihre Artikel direkt aus der Fabrik der Hersteller.”

Da die Ware dementsprechend nach der Bestellung aus China angeliefert wird, dauert der Versand entsprechend lange. Mit etwa neun bis zwölf Werktagen muss man beim Standard-Versand rechnen, per Express geht es etwas schneller. Wichtig zu wissen: Trotz der kostenlosen Lieferung ist es möglich, dass zusätzliche Zoll-Gebühren anfallen.

Screenshot der Website Temu mit einem Beispielprodukt.
Die Preise auf Temu sind selbst für den Laien zu günstig, um eine angemessene Qualität sicherstellen zu können.
Screenshot der Bewertungs-Plattform Trustpilot.
Gut und schlecht: Die Bewertung seitens Kundschaft fällt sehr gegensätzlich aus.

Die bisherigen Kundenbewertungen sind durchwachsen. Neben vielen zufriedenen Kunden schreiben Personen beispielsweise auf der Bewertungs-Plattform Trustpilot, dass bestellte Ware gefehlt hatte oder die Qualität auffällig schlecht sei. Was man sich bei einer angeblichen Smartwatch für 16 Euro erhofft, ist vermutlich eigene Ermessungssache. Auch der Kundenservice wird sowohl positiv als auch negativ wahrgenommen, während man sich einig ist, dass die App deutlich zu viel Werbung an das Smartphone sendet.

Kritik am neuen Schnäppchen-Paradies

Stichwort App: Überprüft man die Temu-App auf Berechtigungen und Tracker, so ist wenig überraschend festzustellen, dass eine ganze Reihe mindestens zweifelhafter Berechtigungen abgerufen werden. Beispielsweise überträgt man mit Nutzung der App die Erlaubnis, dass Temu vollen Netzwerk-Zugriff oder etwa eine Übersicht über Wifi-Verbindungen erhält. Letztlich kann der generelle Unternehmenszweck von Temu im Hinblick auf die Kurzlebigkeit der billig hergestellten Produkte sowie der langen Transportwege kritisch hinterfragt werden.

Temu: Mangelhafte AGB

IMTEST hat einen unabhängigen Anwalt beauftragt, einen kritischen Blick ins Kleingedruckte von Temu zu werfen. Das Ergebnis war sehr durchwachsen: Die Datenschutzerklärung selbst ist übersichtlich und verständlich formuliert und entspricht “im Grunde europäischen Standards”. Auch aus dieser Sicht ist der Umgang mit Tracking-Techniken, etwa beim Akzeptieren von Cookies, durchaus akzeptabel und teilweise sogar weniger aggressiv als bei vergleichbaren heimischen Online-Shops. Aus juristischer Sicht bekommt der Datenschutz bei temu das Gesamturteil “gut”.

Ganz anders sieht es bei den Nutzungs- oder allgemeinen Geschäftsbedingungen aus (AGB), denn hier liegen einige Dinge im Argen. Das Urteil des Juristen fällt ziemlich eindeutig aus: “Der Inhalt der Geschäftsbedingungen ist offensichtlich amerikanischem Recht entnommen und wurde einfach übersetzt. Das führt einerseits zu schwer verständlichen und andererseits auch zu unsinnigen Regelungen.” Besonders bemerkenswert: “Der Marktplatzbetreiber (Temu, Anm. d. Red.) hat zwar mit den Verkaufsgeschäften nichts zu tun, behält sich aber vor, Transaktionen seinerseits einfach zu stornieren, wenn er einen Fehler im Preis oder Verfügbarkeit annimmt.” Das ist auch für den juristischen Laien überraschend und klingt willkürlich. Dass Temu zudem noch einen Haftungsausschluss nach US-Amerikanischen Recht formuliert, ist das (unwirksame) Tüpfelchen auf den insgesamt als “mangelhaft” bewerteten AGB von Temu.

Temu selbst erklärt hierzu: „Temu verpflichtet sich, die Gesetze und Vorschriften aller Länder und Regionen, in denen wir tätig sind, einzuhalten. Als Marktplatzbetreiber erwarten wir von den Händlern auf unserer Plattform, dass sie sich strikt an alle einschlägigen Gesetze und Vorschriften halten.”

Und weiter: “In den sechs Monaten, seit wir in der EU tätig sind, haben wir unsere Überwachungs- und Qualitätskontrollsysteme sorgfältig verfeinert, um verschiedene verbesserungsbedürftige Bereiche anzugehen. Wir haben eng mit unseren Händlern zusammengearbeitet, um sicherzustellen, dass sie die EU-Anforderungen, einschließlich des CE-Siegels, erfüllen, und haben Produkte, die nicht der Norm entsprachen, umgehend aus dem Angebot genommen. Wir schätzen und begrüßen das Feedback und die Kontrolle aus allen Bereichen der Gesellschaft, da wir glauben, dass es für unser Wachstum und unsere Verbesserung entscheidend ist. Als junge Plattform, die erst ein Jahr alt ist, verpflichten wir uns, alle relevanten Regeln und Vorschriften einzuhalten.”

Temu: Mehr Verkauf, weniger Transparenz

Auch exemplarische Überprüfungen der bei Temu eingestellten Angebote haben gezeigt, dass vielfach europäische Kennzeichnungspflichten nicht eingehalten werden und insgesamt mehr Wert auf “verkaufsfördernde Maßnahmen” wie etwa spontane Ankündigungen von “Blitzangeboten” als auf Transparenz und umfassende Informationen etwa zum eigentlichen Verkäufer der Waren gelegt werden.

Kurzum: Auf Temu mag das ein oder andere Schnäppchen zu machen sein und, solange es keine Probleme beim oder nach dem Verkaufsprozess gibt, auch einfach und bequem. Sollte es aber zu Problemen mit Verkäufern oder Plattformbetreibern kommen, ist zumindest auf Basis des Kleingedruckten nicht zwingend davon auszugehen, dass es jederzeit einfach, schnell und problemlos weitergeht.



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