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Es sind die kleinen Schritte, die Großes bewegen

Nichts überstürzen: Mike Kleiß klärt, wie nachhaltiges Training funktioniert.

Mann an einem Trainingsgerät.
© Senivpetro / Freepik

Unser Kolumnist ist einer dieser “Ganz oder gar nicht Typen”. Wenn er Sport macht, dann mit 150 Prozent. Und leider ist es auch Teil der Wahrheit, dass das nicht immer gut ist. “Viel hilft viel”, war lange Zeit sein Motto.

Ich gebe es zu, ich habe es hart gelernt. “Viel hilft viel” hat lange Zeit sehr viel Spaß gemacht, und die Ziele, die ich mir gesetzt habe, konnte ich fast alle erreichen, aber so wirklich gesund war das nicht immer. Leider hatte und habe ich nicht immer die Disziplin, vernünftig mit mir und meinem Körper umzugehen, und ich bin mir sehr sicher, dass ich damit nicht alleine bin. Nach dem Halbmarathon musste es der Marathon sein, nach der Marathon-Bestzeit kam nur noch ein Ultramarathon infrage, und jeden Morgen um fünf Uhr klingelte der Wecker. Natürlich um vor dem Job schon mal schnelle 15 bis 18 Kilometer zu laufen.



Bis zu den ersten Verletzungen genoss ich jeden Laufmoment, umso schlimmer war nach den Verletzungen oder Operationen die Ungeduld, möglichst schnell wieder auf die Laufstrecke zu kommen. Auch für den ersten Marathon lies ich mir nur wenige Monate Zeit für die Vorbereitung, um dabei aber auch gleich in 10er Schritten Gewicht zu verlieren. Heute weiß ich: Wer nachhaltig fit und gesund sein will, muss die vielen kleinen Schritte gehen. Nur sie führen zum “guten” Erfolg, und vor allen Dingen auf gesunde Art und Weise. Und an dieser Stelle schon mal vorab: Wenn Sie noch nicht losgelaufen sind, machen Sie es vernünftiger und besser als ich!

Laufen.Gehen.Laufen.

Was habe ich den Kopf geschüttelt, wenn Lauftrainer ihre Laufschüler langsam ans Laufen heranführten. 100 Meter laufen, 100 Meter gehen, 100 Meter laufen, und so weiter, um dann Schritt für Schritt weniger zu gehen, bis dann endlich am Stück gelaufen werden konnte. Zudem sollte es ausreichen, 2-3 mal pro Woche dieses Training zu absolvieren, um dem Körper Erholung zu gönnen. Und genau das ist in Wahrheit der Schlüssel, um gut ins Laufen zu kommen.

Ebenso ist wohl der beste Tipp, dass die Erholung ebenso wichtig ist, wie das Training selbst. Und auch wenn es zunächst sehr langsam vorwärts geht, jeder Schritt bringt einen weiter. Die Disziplin aufzubringen es langsam anzugehen, ist fast krasser, als direkt jeden Tag mehrere Kilometer zu bolzen. Gerade wenn man vielleicht noch ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hat, danken es einem die eigenen Gelenke, denn: Die Wissenschaft sagt, dass ungefähr das Siebenfache des eigenen Körpergewichts beim Laufen auf die Gelenke wirkt. Rechnen Sie es sich also gerne einmal selbst aus, was da auf einer Strecke von fünf oder zehn Kilometern zusammenkommt.

Eine Person schnürt ihre Laufschuhe zu.
Training von Null auf 100? Lieber nicht, rät Mike Kleiß. © Pexel / Tirachard Kumtanom

Muskeln aufbauen, Stabilität schaffen

Als Jürgen Klinsmann 2008 den FC Bayern München trainierte, brachte er einen eigenen Fitnesstrainer aus den USA mit. Über Mark Verstegen lachte beinahe die ganze Welt. Er war einer der ersten Fitnesstrainer, die Sportler Übungen absolvieren ließen, bei denen keine Gewichte, sondern nur das eigene Körpergewicht eingesetzt wurde. Merkwürdige Gummibänder sollten dabei helfen. Auch als Klinsmann Trainer der Nationalmannschaft wurde, war Verstegen an seiner Seite. Mehr und mehr wurde dieses Fitnesstraining überall auf der Welt etabliert, und heute ist es die Grundlage für ein gesundes Muskel- und Stabilitätstraining. Und jeder, ja wirklich jeder Läufer sollte dieses Training zusätzlich oder im Wechsel zum Laufen fest in den Plan einbauen.

Auch hier muss man sehr klein anfangen. Die Arbeit mit dem eigenen Körper ist unfassbar herausfordernd. Wer die Übungen sauber und effizient absolvieren will, muss diese hart erlernen. Und das ist ein Prozess, der lange dauert. Jedoch: Jede Lehrstunde lohnt sich! Der Körper wird stärker, und zwar mit jeder kleinen Trainingseinheit. Wenn Sie dieses Work Out parallel mit dem langsamen Laufstart kombinieren, sind Sie auf einem perfekten Weg.



Crosstrainer oder Radeinheiten

Als ich meiner Physiotherapeutin gestand, dass ich fast täglich zwei Stunden auf dem Crosstrainer verbrachte, war sie wirklich sprachlos. “Und Du wunderst Dich, dass Du massive Verspannungen im gesamten Rumpf-Bereich hast? Und deshalb hier auf der Pritsche liegst? Oh Mann…”! Ich schämte mich. Sie knetete vorsichtig meinen geschundenen Körper, schüttelte den Kopf, und verordnete mir: “Zurück auf die Null, Mike! Naja, fast. 15 Minuten Crosstrainer oder Rad, 30 Minuten Stabi, 15 bis 20 Minuten laufen. Und das ziehst Du mal drei Wochen jeden Tag durch. Dann sehen wir uns wieder, und dann steigern wir, vielleicht!” Ich lachte, aber es war ihr voller Ernst. Nun schüttelte ich den Kopf, aber ich kann Ihnen sagen: Nur so kam ich nach einer weiteren Verletzung Stück für Stück wieder zurück ins gesunde Laufleben. Die kleinen Schritte eben!

Crosstrainer oder Radeinheiten haben den Vorteil, dass die Gelenke massiv geschont werden. In Kombination mit einem Lauf-Starter-Programm und einem Starter-Stabi-Muskel-Training bilden diese Trainingsformen die perfekte Balance. Wichtig: Bringen Sie unbedingt die Disziplin auf, bei keiner der einzelnen Einheiten zu übertreiben. Der Mix der kleinen Schritte macht´s. Steigern können Sie dann wie von selbst, der eigene Körper wird Ihnen zeigen und sagen, wann es Zeit für den nächsten Schritt ist. Aber: Lernen Sie zunächst die kleinen Schritte zu gehen, lernen Sie, auf Ihren Körper zu hören. Es lohnt sich!