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Playstation barrierefrei: Sony zeigt Access Controller

PlayStation hat sich beim Thema Inklusion ins Zeug gelegt.

Der Access Controller in der Nahaufnahme
Access Controller © Sony / Meyer

Melly schiebt den Joystick langsam nach vorn. Die Augen sind auf den Bildschirm fixiert. Ihre grünen Haare trägt die 36-Jährige als geflochtene Locken auf dem Kopf. Gerade steuert sie Kratos als Wikingerkrieger mit feinen Bewegungen durch eine felsige Einöde. Die Finger der Gamerin sind gekrümmt. Aus eigener Kraft kann sie nicht einmal einen Arm heben. Doch mit Hilfe eines neuen Controllers kann sie Äxte schwingen und Gebirge erklimmen. Die Rede ist vom Access Controller, Sonys erstem barrierefreien PlayStation-Zugang.



Wird PlayStation barrierefrei?

Konkurrent Microsoft hatte bereits 2018 sein Äquivalent in Deutschland auf den Markt gebracht. Der Adaptive Controller für die Xbox ähnelt in der Form einer großen Tafel Schokolade mit zwei sehr massiven, aber sensiblen Buttons. Dazu kommen ein Steuerkreuz sowie vier weitere Tasten.

Es sind viele Einzelteile und Tasten zu sehen, die zum Access Controller Tasten gehören.
Der Access Controller kommt mit zahlreichen Individualisierungsoptionen. © Sony / IMTEST

Sonys Modell wirkt dagegen futuristisch, fast schon spektakulär. “Als wir mit der Entwicklung begonnen haben, hatten wir selbst keine Ahnung, wie das Ding, das wir erschaffen wollten, am Ende aussehen würde. Wir haben praktisch mit einem weißen Blatt begonnen”, erklärt Cheftechniker Alvin Daniel im Interview.

Was aus dem weißen Blatt geworden ist, präsentiert Sony nun in London. Im “Kings Place” finden für gewöhnlich Konzerte und Lesungen statt. Das Gebäude: außen Glas, innen schneeweiß mit reichlich Kunst an allen Ecken. Ein Hirschkopf ragt aus der Wand, gefertigt ist er aus metallenen Kleiderbügeln. Daneben ruht eine Schale, eiförmig und matt glänzend. Hinter versteckten Seitentüren verbergen sich Konferenzräume, in einem von ihnen sind bereits lange Tischreihen aufgebaut mit insgesamt 13 Spielstationen. An jedem Platz befinden sich ein Monitor, eine PS5 samt DualSense Controller sowie ein Karton, in dem sich die Neuheit verbirgt.

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Viele kleine Puzzleteile: So lässt sich der Controller individualisieren

Melly ist eigens für die Präsentation angereist, ebenso wie knapp ein Dutzend weiterer Testerinnen und Tester, alle Gamer mit motorischen Einschränkungen. Der Controller, den sie nun zu Gesicht bekommen, besteht aus einem großen, schwarzen Knopf in der Mitte, umgeben von vielen kleineren, weißen Buttons. Wie Zähne ragen sie aus ihm heraus. Dazu gibt es einen schwarzen Joystick, der sich je nach Belieben auf einer Plastikschiene weiter aus dem Gebilde herausziehen oder nah heran schieben lässt.

Ein erster Schritt, um den Controller individuell anzupassen. Längst aber nicht der Letzte: Alle Buttons lassen sich völlig frei mit Funktionen belegen. Um hier anschließend nicht durcheinanderzukommen, gibt es kleine Gummimarkierungen für die einzelnen Knöpfe mit den klassischen Bezeichnungen: X, Viereck, Kreis, Dreieck, etc. Zudem lässt sich festlegen, was für eine Form die Tasten haben sollen. Die Auswahl besteht zwischen hochgewölbten, vertieften und länglich auslaufenden Varianten.

Es sind zwei Hände zu sehen, die am Access Controller Tasten austauschen.
Die Tasten lassen sich einfach aufsetzen. Das Abnehmen ist schon schwieriger. © Sony / IMTEST

Zusätzlich gibt es eine breite Taste, die den Platz von zwei normalen Knöpfen belegt. Sie kann parallel mit zwei Funktionen, sprich mit einer Tastenkombination belegt werden. Anstatt also beispielsweise L und R gleichzeitig zu drücken, genügt ein Auslösen der Doppeltaste. Auch hier sind Spielerinnen und Spieler in der Wahl der Kombinationen völlig frei, ebenso wie die Zusammenstellung der Knöpfe rund um den Controller. Soll das X beispielsweise zentral auf dem großen Knopf liegen? Hier könnte man bequem mit der ganzen Faust draufschlagen. Oder wäre es nicht besser, es seitlich zu platzieren, sodass der Zeigefinger die Taste bequem erreicht, während der Handballen den Joystick steuert? Wo soll der Stick überhaupt liegen?

Nicht nur, dass er sich verschieben lässt, mit Hilfe der PlayStation-Software können Spielerinnen und Spieler angeben, ob sich der Joystick oben, unten, rechts oder links am Controller befinden soll. Dazu gibt es drei verschiedene Aufsätze. So erscheint der Joystick wahlweise im klassischen Kugel-Retro-Format, in Pilzform oder nur als kleiner, leicht beweglicher Stöpsel. Softwareseitig lässt sich zudem einstellen, ob der Joystick den linken oder rechten Stick eines klassischen Controllers widerspiegeln soll, sprich: Soll er Laufen oder Sehen kontrollieren?



Herausforderung: Eine Lösung für viele Probleme?

Einzig der Profilbutton lässt sich nicht austauschen. Er ist klein und befindet sich seitlich versteckt am Joystick. Das sei gewollt, so ein Techniker. “Denn dieser Knopf wechselt ohne Umschweife das Nutzerprofil. Damit verändert sich die Bedeutung der Knöpfe. Wenn so etwas versehentlich mitten im Spiel passieren würde, wäre das fatal”. Das ist zwar nachvollziehbar, aber nicht für alle Spielenden von Vorteil. Melly beispielsweise hat Schwierigkeiten, den Profilbutton eigenständig zu betätigen. Während andere Gamer die Funktion bereits für sich entdeckt haben, um innerhalb eines Spiels ihre Knopfbesetzung auf verschiedenste Situationen anzupassen, muss sie ihre Assistentin Claudia um Hilfe bitten, wenn sie die Funktionen verändern will.

Eine Frau im Rollstuhl spielt mit Hilfe des Access Controllers Sackman. Ihre Assistentin hilft ihr.
Noch kann Melly nicht jeden Knopf erreichen, der für God of War notwendig wäre. © Sony / IMTEST

Hier zeigt sich die größte Herausforderung bei der Entwicklung eines barrierefreien Controllers: Einschränkungen sind sehr unterschiedlich. Manche Leute können sich nur sehr fein bewegen, andere eher grob. Für die einen ist es daher hilfreich, große Tasten mit viel Abstand benutzen zu können. Melly dagegen erreicht nur, was direkt vor ihren Fingerspitzen liegt. “Für mich müsste das alles noch viel kleiner und filigraner sein”, sagt sie. “Es wäre auch hilfreich, wenn die Tasten leichter zu drücken wären und überhaupt näher beieinander liegen würden. Dann könnte ich mehr auf einmal erreichen”. So fallen ihr komplexere Spielhandlungen noch immer schwer. Doch Jump-‘and’-Runs wie Sackboy: A Big Adventure funktionieren bereits. “Alles andere sehen wir sowieso erst langfristig”, sagt sie. In den kommenden Wochen wird Melly den Controller ausgiebig bespielen, um herauszufinden, welche Tastenkombination für sie am besten funktioniert. Auch muss sich ihr Muskelgedächtnis erst an das neue Gerät gewöhnen. “So etwas kann ein bis zwei Wochen in Anspruch nehmen”, weiß Entwickler Daniel. Erst danach kann sie laut eigenen Angaben beurteilen, welche Veränderung der Access Controller langfristig für sie bedeutet.



Präzision: Sensitivität und Deadzone anpassen

Insgesamt setzt der neue PlayStation-Controller darauf, Modifikationen zu vereinheitlichen, die bislang nur in einzelnen Spielen vorhanden waren. Dazu gehören neben der Besetzung der Buttons auch Sensitivität sowie Deadzone. Ersteres beschreibt, wie fein der Joystick reagiert, letzteres, wann er überhaupt ausgelöst wird. Beispielsweise kann es für einen Spieler mit Muskelkrämpfen hilfreich sein, wenn nicht jedes Zittern der Hände als Reaktion im Spiel gewertet wird, sondern der Controller erst bei einem vollen Ausschlag reagiert. Im Gegensatz dazu brauchen Gamer wie Melly möglichst feine Instrumente, um Charaktere bereits mit kleinsten Bewegungen steuern zu können; etwa um mit Kratos das Lager von Gna, der Königin der Walküren zu erreichen.

Bislang sind diese Tools jedoch nur auf den Stick und nicht auf die Buttons anwendbar. Hier hilft stattdessen ein anderes Tool. In den Software-Einstellungen lässt sich neben der Benennung der Tasten auch eine Toggle-Funktion einrichten. In manchen Spielsituationen ist es notwendig, eine Taste dauerhaft gedrückt zu halten oder aber schnell hintereinander immer wieder zu bedienen. Ein Ding der Unmöglichkeit für Menschen, die beispielsweise mit fortgeschrittener Muskeldystrophie (Muskelschwund) leben. Um ihnen bei solchen Quests einen Ausgleich zu verschaffen, übernimmt die Software das wiederholte Tastendrücken.

Eine Frau im Rollstuhl zockt mit dem Access Controller.
Die großen Tasten lassen sich für Melly leichter bedienen. © Sony / IMTEST

Ein einzelner Knopfdruck reicht, um das Toogle-Feature zu aktivieren, ein zweiter, um es wieder zu beenden. “Manche Leute behaupten, wir würden cheaten”, erklärt Claudia. Mellys Assistentin begleitet die Rollstuhlfahrerin bereits seit 16 Jahren. Sie ist selbst begeisterte Gamerin und kennt die Community. “Wenn solche Funktionen bekannt werden, gibt es online immer viel Wirbel”, sagt sie. “Einige Leute denken einfach nicht nach. Sie glauben, sie würden zum Beispiel von der Toggle-Funktion benachteiligt. Dabei geht es nur darum, echte Nachteile auszugleichen”.

Zwischen Inklusion und SpecialEffects: Auf der nächsten Seite erfahren Sie, wie der Controller entwickelt wurde und welches Potenzial er auch für Gamer ohne Handicap bietet.